Oder wie 2022 das bisher krasseste Jahr des 21. Jahrhunderts war
Es wird heißer in jeder Hinsicht. Aber das betrifft nicht mehr nur Flora und Fauna. Es zündelt auch beim Nachbarn, gerade jetzt wo wir uns mehr schlecht als recht durch die Pandemie gehievt haben und aufatmen wollten. Der Wahnsinn eines kleinen Mannes hält mal wieder die (westliche) Welt in Atem. Aber Wladimir ist kein Einzelgänger und auch nicht im luftleeren Raum entstanden. Die Frage, wie viel wir aus der Geschichte lernen (können), bleibt in der Tat eine Art Dauerklassiker.
Und was machen wir? Wir verdrücken uns.
Schwan aus der Nachbarschaft, der sich verdrückt im Dezember 2022
Ich stehe zwischen Taschen und Klamotten, eine Tüte mit Essen dazwischen. Zur Jahreswende und über die Feiertage fahren wir nicht zur Familie. Wie immer entziehen wir uns dem Weihnachtsfest, verkriechen uns irgendwo und zünden Kerzen in den Rauhnächten an. Ich schreibe Wünsche auf kleine Zettel für das kommende Jahr. Ganz oben wird darin dieses Mal definitiv stehen: Please don’t suck again.
Im letzten Jahr waren wir in einem kleinen Haus an einem dänischen Fjord. Ich hatte mich auf lange Fjordspaziergänge mit dem Whippet gefreut und die Abende vor dem Ofen geplant. Unser felliges Familienmitglied aber hat sich von besagtem Ofen kaum weg bewegt. Die Spaziergänge also fanden ohne ihn statt. Ich dachte, dass 2022 so eine hübsch gerade Zahl ist, dass alles schon irgendwie gut gehen wird im nächsten Jahr. Ich war kraft meiner Natur sehr optimistisch. Das mag auch an der tief stehenden Sonne gelegen haben, die die norddänische Moorlandschaft immer wieder in faszinierende Farben tauchte. Dieses Licht über dem Wasser, das Orange und Gelb am Nachmittag, es hat mich frohgemut gestimmt. Die Wünsche und Ideen für das neue Jahr waren voller Optimismus und hatten sehr wenig mit dem Weltfrieden zu tun.
Wie immer ist der Januar ein harter Monat. Ich finde, es ist der schlimmste Monat des Jahres, aber 2022 war er besonders dunkel und lang. Wir haben uns trotz größter Zurückhaltung und mehrfacher Impfungen mit Omicron angesteckt und durch die Wochen gefiebert. Dem geliebten, alternden Whippet ging es aufgrund seiner versagenden Nieren und trotz Medikamente und aller möglichen Kräuter, die ich ihm in meiner Verzweiflung gab ebenfalls immer schlechter. Wir wussten, was kommen würde und verdrängten den Gedanken vehement. Denn, wenn man nicht daran denkt, nicht darüber spricht, dann findet es nicht statt, dann ist es nicht real. Oder?
Anfang Februar aber konnten wir die Tatsachen nicht mehr ignorieren. Wir flüsterten, entsetzt und ängstlich. Mitte Februar mussten wir ihn gehen lassen – den besten Hund aller Zeiten. Ich weiß nicht, wann ich, wann wir das letzte Mal so viel weinten. Sein Halsband hängt noch immer im Flur an der Garderobe. Manchmal reden wir noch mit ihm. Ich hoffe, er verzeiht es uns.
Für Tränen gab es in diesem Jahr außerordentlich viele Anlässe. Tränen der Wut, des Entsetzens, der Abscheu aber auch Freudentränen und Tränen der Hoffnung. Korrekt, ich bin nah am Wasser gebaut. Was drin ist, wird garantiert raus gespült. Ich kann dagegen nicht viel machen.
Als ich am 24. Februar sehr verschlafen morgens die entsetzte Nachricht meiner russischen Freundin Zhenya bekam (“Can you fucking believe it??”), starrte ich sehr lange auf den Bildschirm meines Handys. Geschah das wirklich? Es geschah wirklich und wir waren entsetzte Zuschauer*innen eines Angriffskrieges, der Folgen nach sich ziehen wird, die wir noch gar nicht absehen können. Die Hilflosigkeit, die viele spürten, ist nur schwer zu ertragen. Deshalb war der Berliner Hauptbahnhof auch voll von Freiwilligen, die auf die Züge aus Polen warteten, in denen Ukrainer*innen ankamen.
Nichts tun können, nichts an den Tatsachen ändern zu können, ist das schlimmste aller Gefühle. Hilflos vor der Klimakatastrophe zu stehen. Hilflos auf brutalste Regime wie die Taliban in Afghanistan oder die Mullahs im Iran zu sehen, ist schwer erträglich (und natürlich nicht zu vergleichen mit den Schrecken, den die Zivilbevölkerung in Afghanistan oder Iran ausgesetzt sind.) Irgendwas muss man doch tun können: Also werden Beiträge in den sozialen Medien geteilt, Spenden- und Patenschaftaufrufe gestartet, Demonstrationen geplant, Artikel geschrieben. Und am Ende bleibt man dennoch mit dem Gefühl zurück, zu wenig getan zu haben, zu oft weiter geklickt zu haben, weil die Belastungsgrenze irgendwann erreicht war. Als die ersten Berichte über die Hinrichtungen von iranischen Demonstranten geteilt wurden, war klar, dass es keine Belastungsgrenze geben durfte. Wir müssen hinsehen, wir müssen zeigen, dass wir diese unglaublich tapferen Menschen nicht vergessen.
Berliner Tiergarten, 22. Oktober 2022
Wenn es sehr schlimm wurde in diesem Jahr, habe ich nach den alten Weisen gesucht. Also Menschen, die sehr vieles irgendwie schon gesehen und erlebt hatten und trotzdem nicht in Zynismus erstickten. Menschen mit Humor. Ich landete bei den großen Ladies: Fred Vargas Krimis von leicht durchgeknallten Typen, die alles andere als erfolgreich waren; Toni Morrisons Essays und Alice Munros Kurzgeschichten. Es gab eine fantastische Ausstellung zu Louise Bourgeois’ Plastiken und Skulpturen, an die ich immer noch denke und die mich tief in die Beziehungsarbeit zur eigenen Familie geschubst hat.
Gerde aber entdecke ich Margaret Atwoods Essays, nachdem ich ihren Newsletter abonnierte und feststellte, wie klug und scharfzüngig die große kanadische Autorin ist. „Burning Questions“ heißt die aktuelle Sammlung ihrer Essays. Darin schreibt sie unter anderem über das Buch „The Gift“ von Lewis Hyde und sie endet mit dem Satz: „Geschenke transformieren die Seele in einer Art wie es einfache Gegenstände nicht können.“ Auf Deutsch klingt das deutlich kitschiger und sperriger als auf Englisch, aber das ist für einen anderen Text gedacht.
Ich denke, dass wir vielleicht anfangen sollten, die richtigen Geschenke zu machen. Eben solche Geschenke, die uns berühren, uns verändern: Der eine Anruf, von dem wir glaubten, ihn nie tätigen zu können oder das Gespräch, vor dem wir zurückschrecken, weil es alle Beteiligte zu sehr schmerzt oder uns schlicht so unangenehm ist, dass wir glauben, alle würden einfach umfallen, wenn man das Thema anspricht. Kleiner Spoiler: Die Angst davor ist meistens größer als die Situation selbst und in den seltensten Fällen fallen wir um. Manchmal ist das aber auch okay: umfallen, entsetzt sein und lernen, weiter zu atmen. Denn es geht ja immer weiter. Nichts hört einfach auf. Morgen geht die Sonne fast genauso spät und wintermüde auf wie gestern. Aber sie geht ganz bestimmt auf. Einfach so. Manchmal nach den schlimmsten Verlusten, fühlt es sich an wie die reinste Frechheit. Manchmal ist es aber auch beruhigend. Es geht weiter und wenn wir uns trauen die großen Fragen zu stellen, kommen wir auch mit dem Krempel klar, der 2023 auf uns zukommt. Ganz sicher.
Viele Grüße aus dem Zug, der uns gen Westen bringt. Wir wollten schauen, ob es da was Neues gibt.
Der Ort, an dem wir leben, beeinflusst unser Denken und Fühlen, bestimmt die Perspektive, die wir einnehmen. Für ein Online-Magazin mit dem Schwerpunkt „Housing“ verfolgt das Essay die Frage, wie der Blick aus dem Fenster unser Sein bestimmt und in welcher Form die Malerei und Bildende Kunst sich seit der Renaissance diesem Thema annehmen. //
Ich erinnere mich noch gut an die Bilder im Wohnzimmer meiner Großeltern. Dunkel waren die Kopien aus der Romantik, unmodern und sehr weit weg von meiner Kinderrealität. Die Bilder interessierten mich nicht. Mein Blick ging immer zum Fenster hinaus ins Dorf. Dorthin, wo ich ungestört bis zum Abendessen herumstreunen durfte.
Und bis heute liebe ich es, aus dem Fenster zu schauen. Wenn ich in einem Zimmer stehe, das ich nicht kenne, gehe ich zuerst ans Fenster. Ich schaue hinaus, will sehen, wie und was da draußen ist. Von diesem Draußen kann ich zwar nur einen kleinen Teil erkennen, einen Ausschnitt und dieser Ausschnitt wiederum wird bestimmt von dem Zimmer, in dem ich stehe. Doch dieser Blick ist essentiell. Denn das Innen beeinflusst das Außen und umgekehrt. Dabei stelle ich mir bis heute die Fragen: Wo genau bin ich und wer bin ich an diesem Ort?
Das Innen beeinflusst das Außen
Das Fenster gibt einen klar umrissenen Rahmen, durch den wir Betrachtende nur einen bestimmten Bildausschnitt der Außenwelt sehen. Die Renaissance feierte das Bild selbst als “Fenster zur Welt” und nutzte das Fenstermotiv als perspektivische Projektion. In der Epoche, in der Wissenschaft und Kunst zusammen das neue Selbstverständnis des Menschen schafften, galt die Geometrie als Basis für die Malerei. Die Zentralperspektive erzeugte mit dem Fluchtpunkt im Bild Tiefe und Proportionen. Gebäude und Fenster wurden in diesen Bildern als Strukturen gesetzt, an denen entlang Maler*innen arbeiteten.
Besonders gut ist das bei Leonardo da Vincis Abendmahl zu sehen. Die Tiefe des Bildes wird durch die Perspektive des Fluchtpunktes geschaffen und durch Wandteppiche rechts und links, der Kassettendecke oben und der Fensterfront am Ende des Speisesaals, also hinter Jesus und seinen Jüngern, verstärkt. Doch die Fenster ermöglichen hier schon den Blick ins Freie und Weite. Die Betrachtenden schauen in das Bild wie in eine offenbarende Welt und hinter dieser Welt liegt mehr, eine hier noch versteckte Weite, die erst 300 Jahre später thematisiert werden sollte.
Leonardo da Vinci, Das letzte Abendmahl, 1494 – 1498
Türen und Fenster als Ausdruck der Kommunikation
Türen und Fenster sind Ausdruck von Kommunikation zwischen Innen und Außen. Sie sind die Öffnung zwischen der Behausung des zivilisierten Menschen zur Außenwelt, eine Art Schwelle. Diese zu übertreten, konnte man entweder sehnsüchtig erwünschen oder aber auch tunlichst vermeiden. Denn das Draußen und Öffentliche galt immer auch als unberechenbar. Vor allem Frauen sollten im privaten Raum leben und wenig in der Öffentlichkeit auftauchen. Im Haus konnten sie schließlich besser “beschützt” und kontrolliert werden als im öffentlichen Raum.
Von Italien aus kam das Fenstermotiv zweihundert Jahre nach der Renaissance in den Niederlanden wieder auf und wurde dort vor allem in der Genre-Malerei verwendet. Stille Figuren beim Handwerk oder in die Betrachtung versunken am Fenster stehend, sind typisch für das 17. Jahrhundert in den Niederlanden.
In vielen Bildern von Jan Vermeer beispielsweise, in denen es Frauenfiguren gibt, sieht man am linken Bildrand ein Fenster. Hier nutzt sie der Maler vor allem als Lichtquelle, um die Farben und die Stofflichkeit auf dem Bild hervorzuheben. Der Blick der Frauen aber ist oft zum Fenster gewandt. Die Innenansicht der Gemalten wird fast versteckt thematisiert. Ob bei der “Briefleserin am offenen Fenster” oder “Herr und Dame beim Wein”, das Fenster steht hier im engen Zusammenhang mit dem, was in den Figuren vor sich geht: Zögern die Frauen? Träumen sie? Sind sie sehnsüchtig oder ängstlich? Die Wein trinkende Dame, die in Richtung des halb geöffneten Fensters schaut; ob sie die Verführungstaktik des Herrn versteht, der nicht einmal Mantel und Hut ablegt, während er ihr den Wein nachschenkt? Wird sich das Fenster für sie öffnen oder schließen? Oder das junge Mädchen, das am weit geöffneten Fenster einen Liebesbrief liest und mit ihrem Körper zum Fenster gedreht steht. Das Fenster verbildlicht hier die Außenwelt, die Verführung und das Versprechen.
Jan Vermeer, Breifleserin am offenen Fenster, 1675 – 1695
Jan Vermeer, Herr und Dame beim Wein, 1658 – 1660
Fenster werden in der Malerei auch immer wieder als “Orte stummer Monologe und Dialoge, der Reflexion über die eigene Stellung” beschrieben. Wer bin ich? Wer bin ich hier? Es ist der Blick ins Außen, der die Innenschau erst möglich macht. Bis heute wird der Blick vom Fenster aus nach draußen auch als sehnsüchtig beschrieben. Vielleicht hatte der Romantiker Novalis recht, wenn er behauptete, dass alles in der Distanz zu Poesie würde.
Verändertes künstlerisches Selbstverständnis
Während im 17. Jahrhundert noch der Fokus auf den Figuren und den alltäglichen Szenen liegt, verwandelt sich der Blick in der Romantik und geht durch das Fenster hinaus in die Weite. Das Fenster liegt jetzt im Zentrum des Bildes. Zum Teil verschwinden die Figuren komplett und gezeigt wird nur noch das Fenster wie bei Caspar David Friedrichs “Blick aus dem Atelier des Künstlers”. Der Raum geistiger Produktion im Inneren mit Blick nach daußen beschreibt auch ein verändertes künstlerisches Selbstverständnis. Das offene Fenster ist hier wieder Symbol für die Kommunikation zwischen innen und außen. Von der Lichtquelle im 17. Jahrhundert wird es in der Romantik immer stärker zur Schleuse von Blicken, Gefühlen und Gedanken.
Caspar David Friedrich, Blick aus dem Atelier des Künstlers, 1805 – 1806
Im 20. Jahrhundert sehen wir dann bei Marcel Duchamps humorvollen Ready-Made “Fresh Widow” von 1920 ins schwarze Nichts. Es gibt keinen Ausblick und auch keinen Durchblick mehr. Es zeigt die postmoderne Leere, die durch die Fülle sämtlicher Möglichkeiten und Veränderungen in unseren Leben herrscht und es thematisiert auch die damit einhergehende Überforderung. Gibt es zu viel Auswahl, habe ich am Ende keine Wahl. Ich verweigere mich ihr. Der Titel “Fresh Widow” – spielt nicht nur mit Worten (von French Window) sondern auch mit den Erwartungen der Rezipienten. Es verweigert jeglichen Ausblick, Weitblick und auch fast jede Kommunikation.
Leonardo da Vinci feilte in der Renaissance noch jahrelang an der richtigen Perspektive, den detailgetreuen Gesichtsausdrücken und versuchte, nach mathematischen Prinzipien das Abbild der Welt darzustellen. Fünfhundert Jahre später weigern sich die Künstler*innen des 20. Jahrhunderts nun Realität überhaupt abzubilden. Verständlich, denn wer will schon das Draußen sehen im 20. Jahrhundert? Es zeigte eine Welt voller Weltkriege, Zerstörung und Massenvernichtungswaffen.
Auch heute im 21. Jahrhundert sehe ich draußen sterbende Bäume, karge Landschaften und die ersten Anzeichen der Klimakatastrophe. Dieser Blick nach draußen macht aus mir eine ängstliche, besorgte Betrachterin. Dann doch lieber die Schotten dicht halten und sich nach innen wenden?
Doch ohne den Blick nach draußen geht es auch nicht, funktioniert schließlich das Innen nicht. Am Ende des Tages muss ich also wieder am Fenster stehen und hinausschauen, um nicht zu vergessen, wer ich bin und vielleicht auch wer ich sein werde. Falls das aber alles zu viel wird, kann man zwischendurch immer noch Duchamps “Fresh Widow” bewundern.
Marcel Duchamp, Fresh Widow, 1920
Sekundärliteratur:
Lorenz Eitner: The Open Window and Storm Tossed Boat. An Essay On The Iconography Of Romanticism. In: The Art Bulletin, Vol. 37, 1955
Thomas de Padova: Alles wird Zahl. Hanser Verlag. München 2021
J.A. Schmoll gen. Eisenwerth: Fensterbilder – Motivketten in der europäischen Malerei. In: Katalog Einblicke – Ausblicke, Recklinghausen 1976
sehpunkte. de/ das Fenstermotiv in der Malerei, zuletzt abgerufen am 17.5.22
Zeitraumzeit.de/ Rezension Fresh Widow: Fensterbilder seit Matisse und Duchamp, zuletzt abgerufen am 17.5.22
Für die Meisten von uns dauerte es einige Tage, um zu verstehen, sich an die Situation zu gewöhnen, den Umständen anzupassen. Was macht die selbst verordnete Isolation mit uns und unseren Beziehungen? Bei welchen politischen Maßnahmen kann man mitgehen? Sechs Wochen lang habe ich mit dem „BLogbuch aus dem Unbekannten“ versucht auszuloten, was ist. Dies ist der letzte Beitrag aus dem ersten #Lockdown.
Heute ist Walpurgisnacht. Stellen wir uns vor, liebe Ladies, wir könnten uns fernab aller Khuons und sonstiger verletzter Männeregos auf dem Brocken treffen und die Party des Jahres feiern. Laut, hemmungslos, mit oder ohne (Glitzer)Klamotte und vor allem fernab aller Männerblicke. Fiona Apple würde ihr neues Album performen und Lady Bitch Ray im Anschluss rappen. Vielleicht kämen auch noch Sleater Kinney und Patti Smith vorbei.
In der Walpurgisnacht auf dem Brocken wären natürlich außer witches only, schamanische Masken im Einsatz. Und Masken die aktuell zu dem Bekleidungsstück schlechthin werden, verdienen näheres Hinsehen. Was also steckt hinter der Maske?
11 000 Jahre alt soll die erste Maske sein, die im heutigen Israel gefunden wurde. Mit der Idee von übernatürlichen Wesen entstanden auch die ersten Masken und während spiritueller und religiöser Zeremonien wurden sie genutzt, um sich zu verbinden mit Geistern und Ahnen. Wer hinter der Maske steckte war nicht einfach verkleidet. Er oder sie wurde Teil des Geistes. Maskenauftritte konnten ganz unterschiedlich genutzt werden und waren in afrikanischen Kulturen ein System von Erziehung und Belehrung, Teil sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Integration.
Neben den schamanischen Masken aber ist die Totenmaske in vielen Kulturen bekannt. Mit ihr hält man an dem Bild des Verstorbenen fest. Außerdem hoffte man so die wahren Wesenszüge des Menschen, gewissermaßen im letzten Augenblick in Form gegossen zu erkennen. Im alten Ägypten wollte man zudem mit möglichst prunkvollen Masken die *den Tode*n ehren und vor Demonen in der Unterwelt schützen. Das zerfallene Gesicht behielt so seine Würde und Schönheit.
Dass man mit einer Maske das eigene Gesicht wahren kann, gilt bis heute. Der Beruf des Schuhputzers gilt in Bolivien als Schande und so maskiert der Arbeiter dort sein Gesicht und bewahrt die Familie und sich vor dem gesellschaftlichen Gesichtsverlust. Schandmasken hingegen waren bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Form der öffentlichen Demütigung, in der die Maske zeigen sollte, wie die Gesellschaft den*die Betroffenen sieht. Menschen, die unehrenhaft gehandelt hatten, wurde eine Schweinemaske aufgesetzt. Wer beispielsweise fremd ging, wurde öffentlich gedemütigt und es ist keine Überraschung, dass Frauen diese Masken tragen mussten, während der betrügende Mann eher stolz sein Ego streicheln durfte.
Vielleicht wäre unsere Party dieses Jahr auf dem Brocken schlicht ein Maskenball. Denn bei einem Maskenball wurde in vergangenen Jarhunderten für kurze Zeit die herrschende Gesellschaftsordnung außer Kraft gesetzt. So verkleidete sich der Adelige als einfacher Bauern oder Schäfer. Marie Antoinette ließ angeblich nach diesem Vorbild einen Lustgarten erstellen, in dem sie mit ihrem Gefolge als Schäferin wandeln konnte, wann immer sie wollte. Heute könnten wir den Maskenball nutzen, um die Verhältnisse umzukehren und Männern zeigen, wie es ist, in einer woman’s world zu leben. Lasst uns also treffen heute Abend am Fuße des Brocken. In Maske bitte.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 21. April
Der meist verkaufte Klassiker dieser Tage scheint Albert Camus’ “Die Pest” zu sein. Letzte Woche stand ich im Buchladen und hörte, wie sich zwei Mitarbeiterinnen darüber unterhielten, ihn noch mal nachbestellen zu müssen. Dabei erinnerte ich mich, dass irgendwo in meinem Bücherregal eine alte Reclam-Ausgabe stand. Gedacht, gesucht, gefunden, machte ich mich am selben Abend ans Lesen.
“Sogar die leichte Befriedigung des Schreibens wurde uns versagt. (…), um zu verhüten, dass die Briefe zu Infektionsträgern würden.”
Schreibt Camus, als die Pest ausgebrochen war und man die Stadttore ohne Vorankündigung geschlossen hatte. Und weiter.
“Die Ferngespräche, die anfänglich erlaubt waren, hatten eine solche Überlastung der Leitungen und der öffentlichen Sprechstellen zur Folge, dass sie nach einigen Tagen gänzlich verboten (…) wurden.”
Wir beschweren uns, wenn die Internetverbindung wacklig ist, weil seit mehr als fünf Wochen alle gleichzeitig Netflix streamen oder mit der Familie auf Zoom Ostern feiern. Zugegeben, der Text von Albert Camus hingegen ist über siebzig Jahre alt und das digitale Zeitalter nuckelte damals gerade als raumgroßer Zusen-Computer am Schnuller. Und Camus will exemplarisch auf Gesellschaft schauen, wie sie sich möglichst ohne Ablenkung bei größter Gefahr verhält. Also Stadttore zu, Telefonleitung tot, Brief zerknüllt und zuschauen.
Die Corona-Pandemie ist für Menschen, die im Krankenhaus Überstunden schieben, um ihr Leben kämpfen oder um ihre Lieben bangen furchtbar. Wer Existenzängste haben muss oder einer wochenlangen Doppelbelastung durch Kindererziehung und gleichzeitigem Homeoffice ausgesetzt ist, wird ebenfalls sehnsüchtig an das Davor denken und sich ein schnelles Danach herbei sehnen. Und dass Teile unserer Bürgerrechte zumindest theoretisch ausgesetzt sind, muss zumindest diskutiert werden.
Aber abgeschnitten von der Welt und auf uns allein geworfen, sind wir in dieser Pandemie nicht. Im Gegenteil. Das Internet macht es möglich sich in dieser Situation, die in einer solchen Gleichzeitigkeit um den gesamten Globus noch nie da gewesen ist, verbunden zu fühlen. Denn es ist egal, ob man in Christchurch oder Spandau Zuhause ist, man erlebt ähnliches wie Millionen andere Menschen und man kann sich mit ihnen darüber austauschen. Und so musizieren wir und zeigen Theaterstücke, halten Lesungen, machen Sport miteinander, alles über den Bildschirm.
Aber auch die Corona-Pandemie und die Reaktion auf sie lohnt sich für eine Analyse. Wie gehen die freiheitsgewohnten BürgerInnen der Demokratien mit den Einschränkungen um? Nach fünf tapfer durchgehaltenen Wochen der Kontaktsperre und Freiheitseinschränkungen beginnen in Deutschland die ersten Menschen mit den Füßen zu scharren. Denn die Kurve ist nun flacher und wir wollen wieder zurück ins Normale. Aber was ist heute anders als am 16. März? Es gibt keinen Impfstoff und auch die viel beschworene Herdenimmunität ist noch lange nicht in Sicht. Für die Risikogruppen ist es heute nicht weniger gefährlich als vor fünf, sechs Wochen. Wir wissen immer noch nicht genau, für wen das Virus glimpflich verläuft und für wen nicht.
Dabei ist die eigentliche Zahl des Tages nicht, wie viele Menschen sich in Deutschland oder weltweit infiziert haben, sondern die niedrige Menge an Niederschlag im April. Weniger als 10 Liter pro Quadratmeter Regen gab es mancherorts zwischen Mitte März und Mitte April. Alle, die momentan Parks oder Wälder stürmen, sehen staubig, trockene Erde. Im Frühling. In Mitteldeutschland. Das dritte Jahr in Folge. DAS ist die eigentliche Katastrophe, die auf uns zukommt.
Für das Corona-Virus wird irgendwann ein Impfstoff existieren. Für den Klimawandel wird es kein Gegenmittel geben. Auf den Klimawandel mussten wir uns gestern vorbereiten, mit allem, was wir haben. Es gälte heute nicht nur die Wissenschaft und Forschung zu nutzen, um alternative Energien und regenerative Ressourcen auszubauen und weiter zu entwickeln. Die Industrie muss sich umstellen, Mobilität verändert werden.
Aber vor allem müssten wir eine gesellschaftliche Kehrtwende in allen Lebensbereichen hinlegen, um das Allerschlimmste teilweise zu verhindern und um uns auf das Kommende einzustellen. Denn es werden Wirtschaftskrisen, Kriege, Naturkatastrophen in großem Maße in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen. Wir müssen schnell, mutig und klug handeln. Dabei sollte vor allem unsere Demokratie gestärkt werden, wollen wir weiterhin unsere Freiheiten genießen. Dazu müssten viel mehr Menschen in wichtige Entscheidungen mit einbezogen werden, indem beispielsweise alle in Deutschland lebenden und Steuern zahlenden BürgerInnen das Wahlrecht bekommen. BürgerInneräten sollten als Pflicht institutionalisiert werden.
Wer heute glaubt, die weltweite Pandemie überfordere uns, kann aussteigen. Das hier ist der Auftakt, das Warm Up für massive Umwälzungen.Und dabei dürfen wir den Mut nicht verlieren. Wir sind klug, anpassungsfähig und kreativ. Nutzen wir es.
“Insbesondere verzichten alle unsere Mitbürger sehr schnell auch in der Öffentlichkeit auf die Gewohnheit, die Dauer ihrer Trennung abzuschätzen.”
So heißt es bei Camus. Auch wir sollten nicht glauben, dass ein Zurück so schnell möglich wäre. Sehr wahrscheinlich wird die neue Normalität anders sein. Stellen wir uns darauf ein.
Am Abend traf ich übrigens eine Freundin und ihren Sohn – online. Wir haben viel geredet und gelacht und waren gemeinsam auf der aktuellen John Heartfield – Ausstellung, die die Akademie der Künste online zur Verfügung stellt. Dazu haben wir Wein getrunken und getan, als würde uns nicht die Erde unter den Füßen weg trocknen.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 15. April
Es ist soweit. Wir leben in einer Parallelwelt, von der die Durchgeknallteren unter uns vielleicht bereits ahnten, aber niemand glaubte ernsthaft hier wirklich zu landen.
“Fass das nicht an!” denke ich nun, wenn ich Menschen unbedacht im Film und Fernsehen die Zugtüren betätigen sehe oder, wenn sie sich irgendwo festhalten in der Metro und dabei viel zu eng stehen. Dazu das Niesen und Hüsteln! Haben die denn keine Ahnung? Außer in “Counterpart” vielleicht, dass in Berlin spielt und von zwei Welten getrennt durch einen unterirdischen Gang erzählt. (Achtung Spoiler!) Durch ein Experiment spaltete sich unsere Welt auf, eine zweite entstand, die origineller Weise nur durch einen unterirdischen Gang in Berlin zu betreten ist. Und in dieser zweiten Welt stirbt ein großer Teil der Bevölkerung an einem Grippevirus. Mit diese Sci-Fi-Serie im Hinterkopf frage ich mich nun, wer das Skript für unsere Serie geschrieben hat.
Ich hatte keine Ahnung, wie schnell Absurdes zu Normalität wird und selbst ich Traumtüte halte inzwischen die Hände tief vergraben in Hosen- oder Jackentasche, sobald ich mich aus dem Haus bewege. Mein Mann, schon seit Jahren geübter “Nicht-Anfasser” öffentlicher Oberflächen, verzweifelte zu Beginn der Pandemie während einer S-Bahn-Fahrt an mir. “Du hast den Sitz angefasst und danach diese Stange. Dann machst du die Tür auf, die automatisch öffnet und jetzt streichst du dir die Haare aus dem Gesicht!” So viel Gängelei kenne ich seit Kita-Tagen nicht mehr und reagierte dementsprechend gereizt, wohlwissend, dass er recht hatte. Nun also die Selbstkontrolle, denn ich kann mir einfach nicht helfen. Und damit bin ich nicht allein!
“Zunächst mal ist es kognitiv total anstrengend, ständig die Routine unserer Körperkommunikation zu unterdrücken, diese unbewussten, zwischenmenschlichen Handlungen zu kontrollieren. Das löst Stress aus.”
Der Haptikforscher Martin Grunwald beschreibt da in einem Interview mit der taz exakt meine Gefühlslage. Dieses permanente Kontrollieren der eigenen Reflexionen löst bei mir einen kindlichen Trotzreflex aus, der wiederum schwer zu unterdrücken ist. Und auch Martin Grunwald weiß da keinen Rat und so fühle ich mich dann doch nicht so allein.
Warum wir uns allerdings ständig ins Gesicht fassen, beschreibt der Mann so: „Der menschliche Organismus funktioniert am besten im Zustand der Homöostase, einem Zustand des Gleichgewichts. (…) Durch eine kurze Berührung im Gesicht werden (…) Impulse ans Gehirn gesendet und wir erreichen wieder den Zustand der Homöostase. Grob vereinfacht sagt das Hirn, wenn uns etwas Angst macht oder irritiert oder so: Ich brauche einen Berührungsreiz, damit ich wieder in die Mitte komme.”
Meine Mitte suche ich schon lange. Nicht auszudenken, wo wir alle enden werden, wenn wir uns weiterhin nicht ins Gesicht fassen dürfen.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 11. April
S-Bahnhof Potsdamer Platz in viralen Zeiten
Wir haben uns daran gewöhnt, nicht wahr? Oder überrascht noch irgendjemanden das Desinfektionsmittel am Eingang des Supermarktes? Zugegebenermaßen waren die Schlangen vor Supermarkt und Post am heutigen Ostersamstag etwas nervig, aber eben auch irgendwie normal. Selbst wenn man sich eine dieser selbstgebastelten Masken vor das Gesicht schnallt, wird man nicht mehr komisch angeschaut. Ich fühlte mich zwar zuerst wie Hannibal Lecter und litt später leicht unter Atemnot, auch hat mich der Fleischwarenfachverkäufer nicht richtig verstanden, als ich ein Stück Lamm kaufen wollte. Sonst aber ist das Schräge die neue Normalität.
Eine dunkle Vorahnung allerdings überkam mich am Dienstag, als ich mit dem Hund durch den Tiergarten marschiert war und irgendwann am Potsdamer Platz stand. Weit und breit – nichts. Desolate Leere. Kaum Autos, sehr wenig Menschen, alles war geschlossen bis auf einen kleinen Deli, in dem ich mir und dem Hundetier Wasser kaufte. Es war ein warmer Tag, der Whippet und ich waren etwas aus der Puste. Nachdem ich mich mit dem einzigen Kunden im Laden durch den inzwischen üblichen 1,50-Meter-Abstand-Tanz gemüht und erfolgreich durch eine Scheibe das Gewollte gezahlt hatte, blickte ich mich um.
Dieser Ort war mir schon immer seltsam. Wirkte er doch mit seinem utopisch hässlichen Sony-Center, den Horden von Touristen, den Businesshochhäusern und teuren Hotels in den vergangenen normalen Zeiten wie ein seltsamer Blick in eine nicht sehr erstrebenswerte Zukunft. Der Potsdamer Platz gehörte seit seiner Wiederbebauung nicht mehr zu Berlin. Wie ein Untoter, den man zurück geholt hatte, nur um zu bemerken, dass ihm die Seele verloren gegangen war. Seine Wiederauferstehung (ja, es ist Ostern) dauerte dann auch einige Jahrzehnte. Zuvor lag er vergessen und von Unkraut überwuchert direkt an der Mauer, war Teil des Sperrgebietes und fristete ein ödes Dasein. Vom Westen aus neugierig beguckt, vom Osten streng bewacht.
Und dabei war der Potsdamer Platz in den Goldenen (und vor allem schicksalsträchtigen) Zwanzigern einer der Hot Spots, an dem das Leben tobte. Dort hatten sich nicht nur piekfeine Hotels etabliert, sondern auch ein gut verwobenes Rotlicht-Milieu, nebst feinsten Lokalitäten und der großen Gastronomie-Kette, dem Aschinger. Das heute mit dem zumindest seltsam anmutenden Namen “Haus Vaterland”, war der Ort für Zerstreuung schlechthin und wer seine schwer verdienten Kopeken leichtsinnig ausgeben wollte, war dort oder im Kaufhaus Wertheim genau richtig. Das Wertheim ist heute übrigens die “Mall of Berlin”, sozusagen die Einkaufsversion des 21. Jahrhunderts. Der letzte Schrei damals aber war der Verkehrsturm mit Ampelanlage mitten auf dem Potsdamer Platz, einer Erfindung aus den USA, um den Verkehr besser regeln zu können. Denn der Potsdamer Platz galt in jenen Tagen als einer der meist befahrenen Plätze Europas.
Der grüne Verkehrsturm steht als hübsch hergerichtete Kopie heute wieder hier, neben einigen Mauerresten und zwei sehr großen Zugängen zur unterirdischen S- und U-Bahn. Meistens zieht es auf dem Potsdamer Platz wie Hechtsuppe und eigentlich will man dort immer schnell wieder weg. Selbst Kinos halten sich hier nicht mehr lange trotz der Berlinale.
Im S-Bahnhof waren der Whippet und ich dann auch fast alleine, an diesem helllichten Nachmittag. Eine Bäckerei hatte geöffnet, in der ein Verkäufer wirkte, als wolle er gähnend die Leere um sich herum verschlingen. Fast hätte ich mir den Hund unter den Arm geklemmt und wäre los gerannt. Doch die S-Bahn kam pünktlich, öffnete automatisch alle Türen, wies mit roten Schildern die Passagiere auf, Abstand zu halten. Ich würde Abstand halten, ganz sicher vor allem zu diesem seltsamen Ort.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 4. April
Bei einem Webinar der Grünen, zu dem unter anderem Igor Levit und Ulrich Khuon eingeladen waren, grummelte und quietschte die Leitung zwischendurch wie in den frühen Zeiten der Telefonverbindung. „Fräulein? Ja, hallo! Verbinden Sie mich bitte mit den Levits. Dort gibt es ein Hauskonzert. Le-vit. Ja, danke!“
Hohles Echo löste dabei fisseliges Rauschen und Knirschen in der Leitung ab und ich hatte das Gefühl, aus diesem Äther, dieser Zwischenwelt heraus wurden wir betrachtet . Wir, die wuseligen Erdenwürmer, die es geschafft hatten binnen kürzester Zeit diesen fantastischen blauen Planeten, auf dem wir alles finden konnten, was wir für ein gutes Leben brauchten, zu zerstören. Wir nahmen, was wir kriegen konnten, rafften es zusammen, mehr als wir nutzen würden und nach dem Kahlschlag vergifteten wir diesen Planeten, so dass die Vielfalt starb und am Ende der Virus lebte.
Zugegeben, ich bin erst in meinen 30ern in die fantastische Welt des Science-Fiction getreten. Ich liebe aber um so mehr die desolaten Bilder des Blade Runners, die verstörende Nähe zu den Maschinen in “Humans” und “Westworld”. Auf diesem Weg habe ich auch die irre Literatur in China entdeckt und traue mich nun in “Der dunkle Wald” des Cixin Liu. Und in diesen fiktiven Welten werden kluge Fragen zu bald relevanten oder bereits wichtigen Themen gestellt. Wohin steuert unsere Gesellschaft? Was haben wir bisher verbockt? Und wem geben wir zu viel Macht?
Eine Verbindung also wie zum Mars rauscht uns an diesem Freitagabend während des Webinars zwischenzeitlich entgegen. Von jenem Planeten, der gerade von den kampffreudigen Siedlern aus “The Expanse” bewohnbar gebastelt wird. Und in wenigen Jahren, wenn wir zurück schauen werden auf diese seltsamen Jahre um 2020, in denen die Digitalisierung im recht konservativen Deutschland anfing einen großen Sprung zu machen, werden diese Webinare nostalgisch, süß wie Omas Apfelkuchen und weit entfernt anmuten. Wir werden auf sie blicken wie wir heute grobkörnige Stummfilme anschauen.
Gesprochen wurde in diesem Webinar über die Kunst und Kultur, ihre Notwendigkeit und was die Coronakrise für Künstler und Kulturschaffenden bedeutet. Diese Treffen auf flachen Bildschirmen, in denen wir heimlich in die Wohnzimmer von Menschen schauen, die wir sonst höchstens aus der Ferne oder auf Magazinen sehen, sind momentan das Einzige, was uns mit realem Theater, Lesungen, Performances oder Konzerten verbindet. Sie gaukeln eine gewisse Nähe vor, denn natürlich sitzen wir alle im selben Boot. Aber die Hierarchien, die Balance, die in dieser vom Geld angetriebenen und zur Erschöpfung getriebenen Welt seit hunderten von Jahren herrschen, die bleiben unangetastet.
Wir ähneln uns in der Angst. In der Einsamkeit. In unserer Unwissenheit und Ungewissheit. Und das Einzige, worauf wir uns verlassen können, ist schwarzer Humor, guter Wein und die Liebe zur Kunst.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 31. März
In Zeiten der häuslichen Quarantäne greifen nicht nur Israelis auf den deutschesten aller Komiker Loriot zurück und ertragen damit ein bisschen besser das Drinnen-sein. Auch die Nachmittage auf dem heimischen Sofa muten bisweilen absurd an, schwanken sie doch zwischen dem Bashing von unverbesserlichen Partygängern, linken Überzeugungen und der Sehnsucht nach einem Gitarren-spoken-word-Abend mit Patti Smith.
Ein Auszug:
Weißt du, was ich am meisten vermisse?
Was wäre das?
Im Café zu sitzen, raus zu gucken, Leute zu beobachten, dabei zu träumen.
Kannst du doch auch hier, Liebes. Guck mich an, den Hund. Ich mach dir auch einen Kaffee.
Wie Patti…
Smith?
Kennen wir eine andere Patti?
Ja, die von den Simpsons.
Also, Patti Smith ist, glaube ich, auch gelangweilt. Sie postet Selfies und Fotos von Kaffeetassen. Also von Kaffeetassen in den unterschiedlichsten Cafés. Hier, das Café Fleur in Paris!
Ich vermisse die französischen Croissants! Und überhaupt das Essen.
Boulangerie! Patisserie!
Aber der Hund würde streiken, zwängen wir ihn noch mal in einen Bulli. Fuck you, und umdrehen würde er mitsamt seinem Köfferchen.
Ja, bis er was zu fressen braucht. Was liest du gerade?
Die Nachrichten. Es ist deprimierend.
Nachrichtenverbot! Lies was schönes. Hier, Pattis Poems.
Ich kapiere einfach nicht, warum die Leute nicht zu Hause bleiben können. Was ist so schwierig daran, einmal zu tun, was man ihnen sagt? Gott, ich klinge schon wie ein Fascho.
Naja, es ist vielleicht auch nicht automatisch falsch, was von oben kommt. Wir wissen, warum wir besser zu Hause bleiben sollten. Abe es fühlt sich schon krass an. Die halbe Welt bleibt brav wie die Schäfchen im heimischen Wohnzimmer.
Weil wir die Alternative kennen. Wer will wie in Italien oder Spanien in Eissporthallen aufgebahrt sein? Du wirst sehen, wie es in den USA enden wird. Das Gesundheitssystem bricht zusammen, die Mehrheit leidet und nur ein paar Reiche können sich den Arzt leisten. Das Land ist so verdammt. Ich bin ehrlich froh, hier zu sein.
Hast du von Ungarn gehört? Eigentlich müsste die EU reagieren und Konsequenzen ziehen. Orban etabliert dort eine astreine Autokratie und die EU finanziert das noch mit.
Das macht Orban doch schon seit Jahren. Da kommt ihm die Coronakrise gerade recht. Und er ist nicht der Einzige. Warten wir es ab, ob die USA im November wirklich wählen.
Es ist so gruslig. Schau mal, was ich gefunden habe. Das ist ein Verfassungsblog von Juristen, die wohl ein paar der neuen Verordnungen in den Bundesländern auf dem Kieker haben. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass wir normalerweise keinen Ausweis mitführen müssen. Ich kam mir immer so hübsch rebellisch vor ohne Pass in der Tasche. Und Berlin hat neben Bayern mit die restriktivsten Einschränkungen zeigen sie in der taz.
Was darf man alles nicht mehr?
Theoretisch darf man nicht ohne triftigen Grund die Wohnung verlassen. Hat in dieser Stadt Gott sei Dank noch niemand verstanden. Und man darf sich auch im Park nicht mehr setzen oder Freunde besuchen.
Oops, schon das Gesetz gebrochen. Und warum darf man im Park nicht mehr sitzen?
Keine Ahnung. Lockt Andere an? Dann sitzt der ganze Kiez bei Grillfleisch im Görli? Aber sie schreiben schon, dass es rechtlich fragwürdig ist. Well, unsere Nachbarn stört es nicht. Haben sie dann halt ein kleines Sit-in auf Balkonien.
So asozial. Ehrlich, ich hätte am liebsten die Bullen gerufen.
Ich weiß. Aber das kann ich nicht. Da fühle ich mich wie bei der Stasi. Und ja, klar, das sind egoistische Kinder, denen langweilig ist und alle anderen zahlen dann dafür.
Kein Sinn für Community. Wie es ohne die Anderen aussehen würden, allein auf sich gestellt in ihrer Partymentalität, können sie sich dann im Krankenhaus anschauen, wenn es keine Pfleger und Ärzte mehr gibt, die sich den Arsch für sie aufreißen.
Das Gespräch, das keine eigentliche Diskussion ist, da sich alle Beteiligten inklusive Whippet-Rüde einig sind, wird in diesem Sinne wohl über die nächsten Wochen weiter geführt werden und sich hoffentlich am 12. Juni, wenn Patti wieder einmal in der Zitadelle auftritt, beendet werden mit einem herzhaften „People have the Power“und dem tiefen Glauben an die Kraft der Poesie und an die Schönheit des Lebens.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 27. März
Denken Sie an sich! Und bleiben Sie gesund!
Das einzige, was Europa mit den Verlassenen in Moria gemeinsam hat, ist das fehlende Klopapier. Luxusware hier wie dort.
Dort gibt es allerdings keine Hoffnung auf menschenwürdige Sanitäranlagen, während wir hier nach der Notdurft unter die eigene Dusche springen könnten. Und es gibt warmes Wasser, nach Lavendel duftende Seife, einen Waschlappen, das Klassikradio.
Hier bekommen wir nach Anruf beim Apotheker unseres Vertrauens die Medikamente, die wir brauchen, auch mit Erkältungssymptomen. Dann werden sie zu uns raus getragen. In Moria fehlt es an so gut wie jedem Medikament und an Ärzten und Psychologen. Es gibt für 20.000 Menschen drei Ärzte, acht Krankenschwestern und zwei Hebammen.
Dort wird das Flüchtlingslager mit 20.000 Verzweifelten sich selbst überlassen. Die Menschen haben täglich nur einige Stunden Wasser am Tag. Hier sollen wir zwei Mal “Happy Birthday” singen und uns währenddessen gut die Hände waschen. Hier in der Mitte des politischen Europas schnüren Regierungen Rettungspakete, damit niemand auf der Straße landen muss. Damit alle genug zu essen haben und die Supermarktregale regelmäßig aufgefüllt werden.
Auf Lesbos werden Menschen, die helfen wollen, angegriffen und davon gejagt. Allein der Gedanke eines eigenen sicheren Zuhauses muss für die Geflüchteten in Moria ein weit entfernter Traum sein. Ein Zuhause, in dem man die Tür schließen und in Sicherheit weinen kann.
Hilft diese Krise, das Beste in uns hervorzukehren? Es zeigt, wer wir wirklich sind. Im Guten wie im Schlechten.
Bei einer zufälligen Suche durch diverse Zeitungen des Landes gibt es an diesem Freitagabend lediglich in der ZEIT und in der taz einen Bericht über die Situation der Menschen in Moria. Die FAZ, die Welt, die Süddeutsche, der Spiegel haben keinen Platz in ihren online-Ausgaben für die Geflüchteten in Griechenland.
Im Spiegel zeigen sie dafür den Mann, der fast 200 000 Deutsche heimholt. Wir sind also sehr glückliche Menschen in diesem wohl temperierten, gut organisierten Deutschland. Nicht happy, natürlich nicht, wir dürfen ja nicht mehr zum Picknicken in den Park gehen. Aber wir sind lucky.
In Woche zwei der Kontaktsperre zieht die Normalität ein. Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, heißt ein zynischer Kalauer. Aber seien wir nett zueinander und bleiben wir gesund.
BLogbuch aus dem Unbekannten, 22. März
Wann man das scheue Klopapiertier am ehesten antreffe, fragte jemand auf Twitter diese Tage. Im Morgengrauen, könnte ich heute antworten. Wenn man sich langsam anpirscht und ohne Habgier zugreift. Ein Päckchen darf man dem Rudel entnehmen. Will man mehr, wird es von mutigen VerkäuferInnen beschützt.
“Wann bekommen Sie denn wieder Klopapier rein?”, frage ich zaghaft und etwas schüchtern über die aufgestapelten Plastikboxen die einen 1-Meter-Abstand zwischen mich und die Kassiererin in der Drogerie zwingen. “Am Montach, “ berlinert sie freundlich zurück. “Aber sein Se vormittachs da. Wir rationieren zwar, aber das wird nicht lange anhalten.”
Ich bedanke mich und gehe weite Bögen um die anderen Kunden ziehend aus dem Laden, trete auf einen fast menschenleeren Ku’damm und denke an den real existierenden Sozialismus.
Gefühlt einen ganzen Nachmittag stand ich als Kind mit meiner Mutter einst vor der Kaufhalle. Flachdachbau auf einem weiten Platz in einer der seelenlosen aber bequem ausgestatteten Plattenbausiedlungen, wo es Telefonanschlüsse gab und Durchreichen von der Küche ins Wohnzimmer. Es sollte Organgen geben, hieß es und also standen wir Schlange. Mir war unendlich langweilig. Nichts bewegte sich. Wir standen ewig hinter all diesen Menschen, die viel größer waren als ich und deutlich ernster und auch neugieriger schauten. Bis heute weiß ich nicht, ob wir am Ende noch unter den Glücklichen waren, die das seltene Obst ergattern konnten oder nicht. Vermutlich aber hatten wir ein paar der runden Früchte im Einkaufsbeutel, sonst würde ich mich an die tiefe Enttäuschung erinnern, die mich sicherlich als 6jährige erfasst hätte nach stundenlangem ergebnislosem Warten.
Steile These: Ossis sind besser gewappnet für Versorgungsengpässe.
Mein Vater erzählte mir irgendwann, wie er zu der Gartenbank in unserem Schrebergarten gekommen war. Man konnte nicht einfach in einen Baumarkt gehen und sich die neueste Holzausführung eines Sitzmöbels kaufen und Zuhause zusammen schrauben. Er besorgte sich also von einem Arbeitskollegen einen Blaumann, setzte sich eines Tages auf die nächstbeste Parkbank (aus bester weiß-grauen Plastik) und vertilgte sein mitgebrachtes Brot, während er gleichzeitig ungesehen die Schrauben unter der Sitzfläche vorsichtig lockerte und die Bank so für den nächsten Schritt präparierte. Der kam am Spätnachmittag, als mein Vater wieder im Blaumann zurückkam und unbeobachtet die einzelnen Teile der Bank mit einem Freund zusammen trug und schulternd weg trug. Dabei setzten sie wichtige Mienen auf und bedeuteten jedem, der hätte fragen wollen, dass das so alles seine Richtigkeit hätte.
Erfindungsgeist hilft und wie anpassungsfähig sollten wir sein?
“Die Hunde dürfen sich beschnuppern. Aber wir sollten Abstand halten,” rollt die Dame mir ihr ausgeprägtes R am Vormittag durch Mundschutz und Schal entgegen. Ich nicke lächelnd. Hundebesitzer sprechen immer über ihre Hunde, selten über sich selbst. Und so fragt sie, wie mein Whippet heiße und ich nenne seinen Namen, erkläre bereitwillig, dass er aus Warschau kommt. Sie sei auch Polin erklärt sie mir fröhlich und dass sie zwar albern aussehe, aber ihre Gesundheit nun einmal vorgehe. Deshalb habe sie sich fünf Mundschutzmasken aus Polen von den Verwandten schicken lassen. Der starke Wind heute erhöhe die Ansteckungsgefahr ja doch. Wieder nicke ich freundlich und glaube einfach fest daran, dass sie sich solidarisch gegenüber ihren Mitmenschen verhalten möchte. Sie geht wahrscheinlich davon aus, dass sie infiziert ist und somit andere Menschen anstecken könnte.
Überhaupt, um nachts besser einschlafen zu können, glaube ich momentan fest an das Gute im Menschen. Erfreue mich an singenden Wohngemeinschaften, Schulklassen und Hauskonzerten, feiere Streaming-Dienste der Kunst- und Kulturszene. Und Menschen mit Mundschutz auf der Straße wollen also entweder ihre Mitmenschen schützen oder sind Teil eines performativen Kunstaktes der gerade live auf Twitter gesendet wird: zur Unterhaltung und Aufklärung.
Dies ist kein Whippet, wie die aufmerksame Kennerin bemerkt. Diesen bezaubernden Schnuff habe ich zu reinen Fotozwecken entführt. @Nadine Stenzel Photography.
Denkt man an Zypern, dann an blaues Meer, Strände, gleißende Sonne und Aphrodite. Die Küste im Westen Zyperns, um Paphos gilt als Heimat Aphrodites und ist bis heute Sehnsuchtsort der Schönheit und des Müßiggangs. Im Frühjahr tummeln sich dort noch nicht all zu viele Touristen und mit etwas Glück grünt und blüht es. Wo immer dabei das Gras am saftigsten scheint und die Sonne ein warmes Plätzchen schafft, liegt eine Katze flankiert von Touristen aus England und Deutschland. Sie strecken ihre weißen Gliedmaßen neben den Katzen aus und machen es sich zur Aufgabe, sie zu füttern und zu streicheln. Die Katzen akzeptieren es, stolz und unnahbar schön. Der geteilte Norden des Landes scheint hier sehr fern.
Geteiltes Land mit gemeinsamer Kaffeekunst
Zypern ist eine kleine Insel, knapp 100 km Luftlinie entfernt von der syrischen Küste, deren nordöstlicher Teil 1974 von der Türkei besetzt wurde. Alle seien sich einig, dass der Norden mit seinen Bergketten direkt am Wasser der schönere Teil des Landes ist, so heißt es. Niemand aber spricht es aus, zumindest niemand von der älteren Generation und die Jüngeren hüten sich, die Schönheit des Nordens zu preisen. Oder offen zuzugeben, dass sie auf der anderen Seite waren. Bis heute ist das Land geteilt und das Trauma sitzt tief. Erst 2008 eröffnete ein kleiner Checkpoint in der geteilten Hauptstadt Nikosia, der Fußgängern erlaubt von dem griechischen in den türkischen Teil zu gehen.
Auf der anderen Seite bezahlt man in türkischer Lira oder in der Nähe der Grenze auch mit Euro. Es gibt türkischen Schwarztee, eng kleine Läden für Touristen in der Fußgängerzone der Altstadt von Lefkosia, wie Nikosia auf der anderen Seite heißt. Heute Randgebiet zerfällt die Altstadt um „Büyük Han“, dem Blickfang des traditionellen Zentrums, sofern sich kein Café oder Souvenirladen eingemietet hat. Sitzt man aber erst einmal in einem solch kleinen Café, steht es sich nicht wieder so einfach auf. Da spielen die Katzen unter den Stühlen miteinander oder betteln um Essen (das sie immer bekommen). Der Muezzin ruft zum Gebet während eine Art psychedelischer Folkrock aus den Lautsprechern des Cafés spielt und die jungen Leute reden und rauchen, lesen und rauchen oder spielen Backgammon und rauchen. Und natürlich trinken sie Cyprus Coffee, den man niemals und unter keinen Umständen hüben wie drüben mit Milch bestellen darf. Wer insistiert, bekommt Milch in einem Extrakännchen dazu gestellt. Das Sakrileg sie in den Kaffee zu gießen, muss man selbst durchführen.
Cyprus Coffee (mit Milch)
Phaneromenis70 oder wie die nächste Generation über die Grenze schaut
Spricht man mit Bewohnern der Stadt, so wird man von den Älteren gewarnt, vorsichtig zu sein auf der anderen Seite. Eine Griechin, die vom Festland nach Zypern kam, um der Wirtschaftskrise zu entkommen, berichtet, dass manche Zyprioten noch vor Minen aus dem Krieg warnen. Wie lange hält man an seinem Schmerz fest? Was heißt es, einen Teil des Landes zu verlieren, in dem Familie und Freunde lebten? Das Projekt Phaneromenis70 von dem Künstler Kyriaki Costa beschäftigt sich mit genau dieser Fragestellung: Was bedeutet der Ort für die eigene Identität, wie bestimmt er Erinnerungen und was machen Touristen mit diesem Ort? In der Altstadt Nikosias nur wenige Meter von der grünen Linie, der Pufferzone zwischen griechischem und türkischem Stadtteil entfernt, liegt der kleine, helle Laden des Projekts, das so viel wie “Manifest 70” heißt. Er gehört zum griechischen Teil. Auf der anderen Straßenseite ist auf eine Hauswand der Spruch “Smash Patriarchy!” gesprayt, nebenan gibt es eine Kneipe, in der das Best Of Rock n Roll von 1970 bis 1995 läuft. In dem Laden werden zypriotische Handwerkskunst und Bilder verkauft, dazu gibt es über zwei Wände Postkarten verteilt aus der Reihe “Delivering Views”. Hierzu werden Einheimische und Touristen aufgefordert ihre ganz eigene Sicht von und auf Zypern mittels Fotografien einzureichen. Der Blick auf die Insel, den Ort, wird erweitert. Manchmal schreiben Künstler zu Fotografien, die sie besonders berühren, benutzen sie als Ausgangspunkt für das eigene Schreiben.
Streetart in der Altstadt von Nikosia, griechischer Teil
Das Projekt von Kyriaki Costa ist nicht der einzige Versuch mit der Teilung der Insel umzugehen. So werden auch Besuche in Famagosta angeboten, dem Ort auf türkischer Seite, wo der Krieg viele Ruinen hinterließ. Vor allem türkischstämmige Zyprioten verließen aufgrund der Kämpfe die Stadt und kehrten nicht wieder zurück. DochTourismus kennt keine Grenzen. Wo Zyprioten seit Jahrzehnten mit Traumata kämpfen, setzen die russischen, deutschen und englischen Besucher über die grüne Linie, um sich die Schauplätze eben jener Traumata anzusehen. Auch lokale Historiker bieten in kleinen Gruppen bisweilen Reisen in den Norden an, um zusammen zu denken, was eigentlich zusammen gehört. Bis in die Institutionen des Landes ist dieses Denken noch nicht ganz vorgedrungen. Allein das Goethe Institut hat seinen Sitz in der Pufferzone und bietet so einen neutralen Ort für gemeinsame Veranstaltungen. Aktiv gesucht aber werden diese von griechischer Seite nicht, manchmal sogar verhindert. Zu tief sind noch die Wunden.