Ulrike Folkerts hat zu ihrem 60. Geburtstag ein Buch geschrieben. „Ich muss raus“ wurde vom Brandstätter Verlag herausgegeben. Für die Siegessäule habe ich der ersten weiblichen Tatort-Kommissarin und offen lesbischen Schauspielerin einige Fragen gestellt.
Frau Folkerts, warum haben Sie sich entschieden das Buch „Ich muss raus“ zu schreiben? An wen richtet es sich?
Nach dem Angebot vom Brandstätter Verlag, eine Biografie zu schreiben, habe ich meine Freund:innen gefragt, ob sie das interessieren würde. Sie sagten alle: „Ja, du hast was zu erzählen, du bist ein Vorbild für junge Kolleg:innen, für Menschen aus der queeren Szene. Dein Weg ist besonders, deine Rolle als Frau in der TV- und Filmbranche ist einzig.“ Das war Grund genug, mich hinzusetzen und zu schreiben. Ich denke, mir ist ein sehr persönliches Buch gelungen, und es richtet sich an alle, die das interessiert.
Sie schreiben, dass Filme, in denen sie gerne spielen wollen, im deutschen Fernsehen nicht existieren. Welche Filme müsste es heute geben? Welche queeren Rollen würden Sie sich wünschen?
Meine Kritik richtet sich gegen die Tatsache, dass Frauen über fünfzig kaum mehr Rollen angeboten bekommen. Geschichten von Frauen, die mitten im Leben stehen, Heldinnen sein dürfen wie Frances McDormand in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ oder jetzt in „Nomadland“, gibt es kaum bis gar nicht. Das bedauere ich sehr. Almodóvar ist einer meiner Lieblingsregisseur:innen, weil er es schafft, tolle Frauenfiguren zu erzählen, queere Themen zu installieren, und damit ein breites Publikum erreicht.
Warum ist der deutsche Film, ihrer Meinung nach, noch immer sehr weiß, männlich, heteronormativ und klischeebesetzt, wo doch die Zuschauer:innen mit der Zeit gehen und offen für andere Narrative scheinen?
Zurzeit sind sehr viele Gespräche in Gang gekommen bezüglich Diversität im TV und Film. Durch die Streamingdienste, die Vielfalt schon viel mehr beherzigen, ist das junge Publikum längst abhanden gekommen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bemüht sich, da etwas aufzuholen, moderner zu werden, sich für andere Erzählweisen zu öffnen. Es gibt jetzt eine Art Bestandsaufnahme, um zu erkennen, wie sehr der deutsche Film stereotypisch erzählt, um das aufzubrechen. Ich bin guter Hoffnung, dass wir das schon bald sehen werden.
Als Lena Odenthal wurden Sie 1989 zur „Tatort“-Kommissarin. Sie waren damit eine der ersten Frauen in dieser Rolle. Sie wollten aber nicht, dass Lena Odenthal auch zur ersten lesbischen Kommissarin wird, als man Ihnen vor einigen Jahren diese Figurenentwicklung vorschlug. Warum?
Als ich 1989 mit „Tatort“ anfing, war ich nicht geoutet, hatte das auch nicht vor, denn ich hatte Angst, in diesem Beruf deswegen benachteiligt zu werden. Es war undenkbar. Es gab keinerlei Vorbilder. Außerdem ist Lena Odenthal eine Rolle, sie ist und bleibt hetero. Ich bin Schauspielerin und kann alles spielen. Mir wäre das Lesbischsein dieser Figur im Nachhinein sehr merkwürdig vorgekommen und zu nah an meiner Person.
Sie schwanken zwischen dem Wunsch, nicht über Ihre Sexualität reden zu müssen, um sie dann doch wieder in der #actout-Aktion zum Thema zu machen. Warum entscheiden Sie sich immer wieder für einen Kommentar?
Es ist nicht wichtig, permanent über seine sexuelle Orientierung zu reden, Auskunft darüber zu geben oder sich damit interessant machen zu wollen. Ich habe mit angewöhnt eine gewisse Selbstverständlichkeit dafür an den Tag zu legen. Ja, ich kann darüber erzählen, wenn es jemanden interessiert, aber ich muss keine Parolen loswerden. Die Aktion und das Manifest von #actout fand ich sofort unterstützenswert. 185 Schauspieler:innen, die sich u.a. als lesbisch, schwul, bi, tarns*, queer, inter und nonbinär identifizieren, machen auf ihre Situation aufmerksam. Wir haben das Jahr 2021, und es ist nach wie vor nicht normal, dass sich diese Menschen outen, weil sie Benachteiligung bei Besetzung erfahren. Außerdem wünscht sie #actout eine größere Sichtbarkeit verschiedenster Lebensformen in den Geschichten, die im TV und im Film erzählt werden. Ich war begeistert, dass es so viele sind, die mobilmachen. Die Wucht ist enorm, das Gespräch mit den Verantwortlichen ist in gang gekommen, und das Staunen, dass dieses Thema so eine Brisanz hat, könnte nicht größer sein.
Verstehen Sie die Kolleg:innen, die sich nicht outen aus Angst vor einem Image- und dann in der Folge auch Jobverlust?
Die Angst ist ja nicht unbegründet. Jede Person muss für sich selbst entscheiden, ob ein Outing wichtig ist, persönlich, privat oder öffentlich. Ich war froh, als mein Geheimnis gelüftet war, auch wenn es mich für einen Moment geschockt hat, weil ich das Ausmaß nicht absehen konnte. Aber sowohl mein Sender SWR als auch Freund:innen und Familie standen immer hinter mir. Das brauchen wir alle.
Nach sehr heftigen Reaktionen zu der Aktion #allesdichtmachen haben Sie innerhalb kürzester Zeit Ihren Beitrag zurückgezogen und sich dafür entschuldigt. Warum haben Sie sich beteiligt? Und warum haben Sie sich dann so schnell distanziert?
Ich habe mitgemacht, weil ich überzeugt war, dass wir als Kunstschaffende Kritik an der Regierung äußern sollten und einen Diskurs anregen wollten über die Corona-Maßnahmen, die uns seit einem Jahr auf unterschiedlichste Weise beeinträchtigen. ich bin die Letzte, die das Virus und die daraus resultierenden Maßnahmen nicht ernst nimmt, aber wir wollten darüber reden, wie wir etwas ins Positive verändern könnten. Der Monstershitstorm, den wir dann erlebt haben, hat jegliche Form des Gesprächs darüber torpediert. Die Mails, die mich erreicht haben, haben mir gezeigt, die Falschen beklatschen uns, man schubst uns in die Ecke der Querdenker und AfDler. Das war Horror. Manche Menschen sind enttäuscht und verletzt, was ich sehr ernst genommen habe und was mich zum Rückzug veranlasst hat. Die Aktion ist für mich im Nachhinein ordentlich schiefgegangen, die Form der Satire war falsch, ich räume meinen Fehler ein, und ja, ich entschuldige mich bei denen, die ich vor den Kopf gestoßen habe.