BLogbuch On Travel

Im BLogbuch des letzen Frühjahres ging es um die verwunderte Sicht nach draußen, wo Klopapierrollen und Schlangen vor dem Supermarkt das Bild des ersten Lockdowns bestimmten. Ein Jahr später nun richtet sich der Blick nach innen. Ein poetischer Versuch, der quer durch die Wüste führt.

II Im Auto

Collage „Schlafentzug“ April 2021

Israel, 2011.

Kalt war es und dunkel

als ich das erste Mal in eine Wüste fuhr

Es war Dezember und ich war allein

laut singend saß ich in einem gemieteten Auto

Auf keinen Fall solle ich nachts fahren

hatte sie mir eingebläut

zu gefährlich sei es für mich

und die Tiere da draußen

Zum Abendbrot wollte ich im Kibbuz sein

aber Tel Aviv war nicht Berlin

und auch sonst verfuhr ich mich mehr als einmal

ich war keine geübte Fahrerin und so wurde es dunkel

und still und ich begann zu fluchen, laut und panisch

Keine Straßenschilder mehr und auch keine Laternen

aber hier irgendwo musste doch endlich das Kibbuz

(es war vor dem bezahlbaren und mobilen Worldwideweb-Zugang)

An einer Tankstelle hielt ich und ließ den freundlichen Menschen an der Theke

die AB-Ansage übersetzen

ich hatte sie mit dem Handy angerufen

der Anrufbeantworter gehörte zum Kibbuz 

“Toda” und “Beseder” hatte ich gelernt, mehr Hebräisch war nicht

Jetzt also zurück und dann links und dann noch ein kleines bisschen weiter

Als ich im Kibbuz ankam, gab mir ein verschlafener Typ den Schlüssel

zu einem Zimmer wie in einer Jugendherberge 

oder einem Ferienlager aus DDR-Zeiten

Kurz vor Mitternacht war es und ich sterbensmüde

kalt war es auch im Doppelstockbett

und ich weinte mich in den Schlaf vor Erschöpfung und Selbstmitleid

mit der Frage ohne Antwort

Am nächsten Morgen wachte ich in das schönste Panorama hinein auf

sandsteinfarbige Hügelketten hinter Ben Gurions Grab

Ich setzte mich ganz still dahin und guckte lange Atemzüge in die Landschaft

beobachtete die jungen Soldaten auf ihrem Ausflug

und suchte irgendwann die Kantine für das Frühstück

Später in Mitzpe Ramon hatte die Aussicht

mir jedes Zeitgefühl geraubt

ein Canyon in den ich mit gelber Wetterjacke hinein lief

und wieder sehr viel Stille und noch mehr Panorma

und alle Farben in Ausgewaschen, von Rosa bis Eierschalenfarben

Eine Telefonzelle gab es da auch und ich hatte die Großeltern im Ohr

“Du klingst, als würdest du unten im Garten stehen”, jauchzte Oma

mit ihrer Stimme so nah stand ich wirklich ein bisschen im thüringischen Garten

und ich weinte wieder, jetzt vor Erleichterung

Nachts war es sehr kalt und ich schlief in einem Hangar auf einer Isomatte

eingewickelt in einen Schlafsack

auf der anderen Seite der Halle noch eine Reisende

uns war nicht zu helfen, so sprachen die Augen der Meisten Worte

Leise summte ein Heizlüfter und spuckte Wärme in die Gegend

die kurz vor meinem Rücken und dann verpuffte

wieder diese gewaltige Stille und die Frage

Sie fuhr mit mir bis Eilat

wo ich die Zehen ins rote Meer tauchte

und die Augen in den zu blauen Himmel schickte

Hier wieder konnte ich essen

den Magen hatte es mir zugeknotet, 

auf der Reise durch die Wüste in mir

Hier nun saßen ein paar von uns vor den Zimmertüren

eines billigen Motels mit gefaktem Charme

die Gesichter sonnenverbrannt und die Sandwiches ausgepackt

Nachts schlief ich ein zum Surren der Klimaanlage

und dem Flattern eine Plastiktüte

draußen vor der Tür

BLogbuch On Travel

Im BLogbuch des letzen Frühjahres ging es um die verwunderte Sicht nach draußen, wo Klopapierrollen und Schlangen vor dem Supermarkt das Bild des ersten Lockdowns bestimmten. Ein Jahr später richtet sich der Blick nach innen. Wisst ihr noch damals, als man mit dem Rucksack durch Europa gondeln konnte? Eine poetischer Versuch.

I. Mit dem Zug

Collage „Am Zug“ März 2021