Im BLogbuch des letzen Frühjahres ging es um die verwunderte Sicht nach draußen, wo Klopapierrollen und Schlangen vor dem Supermarkt das Bild des ersten Lockdowns bestimmten. Ein Jahr später nun richtet sich der Blick nach innen. Ein poetischer Versuch, der quer durch die Wüste führt.
II Im Auto
Israel, 2011.
Kalt war es und dunkel
als ich das erste Mal in eine Wüste fuhr
Es war Dezember und ich war allein
laut singend saß ich in einem gemieteten Auto
Auf keinen Fall solle ich nachts fahren
hatte sie mir eingebläut
zu gefährlich sei es für mich
und die Tiere da draußen
Zum Abendbrot wollte ich im Kibbuz sein
aber Tel Aviv war nicht Berlin
und auch sonst verfuhr ich mich mehr als einmal
ich war keine geübte Fahrerin und so wurde es dunkel
und still und ich begann zu fluchen, laut und panisch
Keine Straßenschilder mehr und auch keine Laternen
aber hier irgendwo musste doch endlich das Kibbuz
(es war vor dem bezahlbaren und mobilen Worldwideweb-Zugang)
An einer Tankstelle hielt ich und ließ den freundlichen Menschen an der Theke
die AB-Ansage übersetzen
ich hatte sie mit dem Handy angerufen
der Anrufbeantworter gehörte zum Kibbuz
“Toda” und “Beseder” hatte ich gelernt, mehr Hebräisch war nicht
Jetzt also zurück und dann links und dann noch ein kleines bisschen weiter
Als ich im Kibbuz ankam, gab mir ein verschlafener Typ den Schlüssel
zu einem Zimmer wie in einer Jugendherberge
oder einem Ferienlager aus DDR-Zeiten
Kurz vor Mitternacht war es und ich sterbensmüde
kalt war es auch im Doppelstockbett
und ich weinte mich in den Schlaf vor Erschöpfung und Selbstmitleid
mit der Frage ohne Antwort
Am nächsten Morgen wachte ich in das schönste Panorama hinein auf
sandsteinfarbige Hügelketten hinter Ben Gurions Grab
Ich setzte mich ganz still dahin und guckte lange Atemzüge in die Landschaft
beobachtete die jungen Soldaten auf ihrem Ausflug
und suchte irgendwann die Kantine für das Frühstück
Später in Mitzpe Ramon hatte die Aussicht
mir jedes Zeitgefühl geraubt
ein Canyon in den ich mit gelber Wetterjacke hinein lief
und wieder sehr viel Stille und noch mehr Panorma
und alle Farben in Ausgewaschen, von Rosa bis Eierschalenfarben
Eine Telefonzelle gab es da auch und ich hatte die Großeltern im Ohr
“Du klingst, als würdest du unten im Garten stehen”, jauchzte Oma
mit ihrer Stimme so nah stand ich wirklich ein bisschen im thüringischen Garten
und ich weinte wieder, jetzt vor Erleichterung
Nachts war es sehr kalt und ich schlief in einem Hangar auf einer Isomatte
eingewickelt in einen Schlafsack
auf der anderen Seite der Halle noch eine Reisende
uns war nicht zu helfen, so sprachen die Augen der Meisten Worte
Leise summte ein Heizlüfter und spuckte Wärme in die Gegend
die kurz vor meinem Rücken und dann verpuffte
wieder diese gewaltige Stille und die Frage
Sie fuhr mit mir bis Eilat
wo ich die Zehen ins rote Meer tauchte
und die Augen in den zu blauen Himmel schickte
Hier wieder konnte ich essen
den Magen hatte es mir zugeknotet,
auf der Reise durch die Wüste in mir
Hier nun saßen ein paar von uns vor den Zimmertüren
eines billigen Motels mit gefaktem Charme
die Gesichter sonnenverbrannt und die Sandwiches ausgepackt
Nachts schlief ich ein zum Surren der Klimaanlage
und dem Flattern eine Plastiktüte
draußen vor der Tür