Zum vierten Mal stellte absolut.zine ein Thema und das Künstlerkollektiv lieferte. Und dieses Mal ging es uns ans Leder. Bunt und kreativ und hautnah wurde es wie immer. Dazu gibt es ein eigenartiges Shortstory/Poem von mir und anschließend einen Austausch zwischen Ekaterina Rusakova, Angelina Roth und meiner Wenigkeit. Denn wir waren uns alle einig „Künstlerfamilien sind komisch“.

Geradlinig gehen sie ihrer Wege
über Gebirgsketten von Polyester, Baumwolle
und manchmal Seide
auch über nackte Haut
Dort auf der Hornschicht läuft es sich zwar gut,
aber gefährlich ist es für jede einzelne Arbeiterin allemal
und immer sind es höchst unterschiedliche Ebenen
manchmal samtig und glatt
manchmal rau und schlaff
häufig ist es feucht dort oben dieser Tage
und sprinten müssen sie, die Zartesten ihrer Art, leichtfüßig darüber
no matter what
Mehlmassiges auf ihren Körpern balancierend
Besser schnell hinab in die Wälder aus Gras
die buckligen Beetebenen
oder hinaus auf riesig heiße Pflastersteinlandschaften
alles kein Problem
meistens zumindest
wenn nichts Größeres über sie herein bricht oder stapft oder rollt oder fällt
Auf den Leinentüchern mit Kaffeegeschirr ist Präzisionsarbeit gefragt
koordiniert und schnell müssen sie vorgehen
zielgenau und ungesehen
denn nichts ekelt die Anderen so sehr
wie ein Haufen hart arbeitenden dunklen Gewimmels
auf ihrem weiß glänzenden Porzellan aus Meißen
(das liegt in Sachsen, weiß die Kolonie aber nicht)
Das Kaffeegeschirr ist sich selbst überlassen
Kuchenkrümel eingerahmt von Kaffeerändern
selbst Zuckerkrumen gibt es, karamellisiert manchmal
Marzipanreste an Tante Käthes Kuchengabel
Sie klettern über feines Leinen
tragen schwer an Masse und Verantwortung
vorsichtig über die Porzellanrampe hin zum Tischtuchende
Zwischen Tischkante und Kiefernstamm
(dort hinten war die Kolonie in Sicherheit)
lagen endlose Weiten
und Tante Käthe in dünnem Baumwollkleid
Jetzt also Klimmzüge am Gummiband
hinauf und nicht zurück schauen
immer vorwärts an der Naht entlang gehangelt
dann Haut
weich und porig und fast ohne Haar, glänzende Weite – ein Albtraum
die Kleinsten zuerst, sie trippeln nervös
Dann los:
„Künstlerfamilien sind komisch“ – ein Slide von Ekaterina Rusakova
„Familienhäute“ – ein Dialog von Angelina Roth
Familienhäute - extended Tante: Bitte was will er studieren? Die vollgestopfte Tote Bag über die Schulter geworfen, steht sie im Flur. Ihr frisch gestochenes Tattoo am Armgelenk ist noch in Folie eingepackt, wo es schwitzt und Farbe blutet.
Mama: Sag du.
Papa (leise): Verwaltungswissenschaften
Tante: Das ist nicht euer ernst!
Mama: Unserer sicher nicht. Aber Ernsts schon.
Tante: Ich habe es euch damals gesagt und sage es wieder. Nomen est Omen. Aber ihr musstet ihn unbedingt nach Opa nennen.
Papa: Wie hätte ich denn sonst die Schauspielschule zahlen sollen?
Mama: Wir haben wirklich alles versucht. Wir haben vernünftig mit ihm geredet. Er will nicht.
Tante: Ich werde mir den Jungen mal zur Brust nehmen. Wo ist er?
Papa: Im Wohnzimmer. Er ordnet das Bücherregal - thematisch.
Mama zu Papa: Weißt du eigentlich, wie lange es dauert, die Bücher wieder nach Goethes Farbenlehre umzustellen?
Tante (schnaubt im Weggehen): Johann ist auch nicht viel besser.